Schwiegermutter ist die Beste: Gudrun Beckmann und Philip Beckmann
Das Weinhäuschen in der Calenberger Straße wuchs mit seinen Aufgaben. Im Laufe von 30 Jahren hat es den Diminutiv abgelegt und trägt heute den Namen seiner Wirtsleute wie eine Marke vor sich her: Wir sind mal in Beckmann's Weinhaus eingetreten.
Anfang der Achtziger. Die Calenberger Neustadt. Die kleine Lena ist auf der Jagd. Nach Schnecken. Die schleimigen Weichtiere sind des Mädels liebtes Spielzeug, seit ihre Eltern Konrad „Conny“ und Gudrun Beckmann die Gaststätte „Schneckenhaus“ übernommen haben. Denn dort wimmelt die Küche tatsächlich voller Schnecken, freilich französische Importware vom Feinsten, doch das ficht die kleine Beckmann nicht an. Immer neuen Nachschub bringt sie nach Hause... schon ist die Art der Gastropoda in der Neustadt von der Ausrottung bedroht, da streicht der Vater die Delikatesse, die ihm ohnehin zuwider ist, von der Karte, die Tricolore wechselt eine Farbe und aus dem gallisch angehauchten „Schneckenhaus“ des legendären Vorbesitzers Ulli Mörner wird das italophile „Weinhäuschen“. Ein Knusperhäuschen! Urig, eng, (man fällt beim Eintreten praktisch gleich hinter die Theke), das dunkle Holzambiente wird illuminiert durch Kerzen. Es gibt Pasta und Salate, und karaffenweise den guten Vino. - der heißt Soave oder Chianti und wird von Wirt Conny selbst importiert... Die Versammlungsstelle mit den harten Sitzbänken wird sehr schnell Kult bei der Generation Golf Cabrio. Man pflegt die calenbergsche Version von dolce vita, von den Aufgeregtheiten einer gespreizten „Toskana-Fraktion“ ahnt man zu dieser Zeit noch nicht einmal etwas.
Und Lena? Die ließ irgendwann die Finger von Schnecken und heiratetete. Ihr Mann, Philip Beckmann, und – in seinen Semesterferien – der Freund des Hauses Max Ruscher sind die neuen Gesichter von Beckmann's Weinhaus 2.0. Die beiden jungen Männer haben in London gemeinsam die deutsche Schule in Richmond besucht und bei ihren kulinarischen Streifzügen durch die derzeitige Welthauptstadt des Essens das Restaurant St. John Bread & Wine entdeckt. Die Einflüsse dieses kompromisslosen wie aufsehenerregenden „Nose-to-tail-eating“-Konzepts von Chef Fergus Henderson spiegeln sich ebenso in der Speisekarte wider wie die Liebe Conny und Gudrun Beckmanns zu der Küche Italiens, vornehmlich Liguriens, wo die Familie seit Generationen ein Ferienhäuschen hat und die italienische Lebensart pflegt. So wird im Weinhaus aus dem Londoner „Petersiliensalat mit Knochenmark“ eben ein solcher mit Pulpo.
Aber wie authentisch – und vor allem: wie gut – ist dieser „Italiener“ aus der Calenberger Neustadt wirklich? Zum Stresstest erscheinen wir mit Massimiliano, der in Neapel an der Hafenkante lebt, und mit Conte Leo („das ist die Kurzform für Leopoldo“), der in Umbrien, Italiens einziger Region ohne Küste, ein mittelgroßes Anwesen bewohnt. Die „Moscardini mit Knoblauch und Petersilie“ (8,50), kleine Tintenfische, die Koch Frank Kula lehrbuchartig unter Beigabe von Flaschenkorken weich gekocht hat, haut der Napolitaner weg ohne abzusetzen, und nascht dann, wenn dieser nicht guckt, weiter von Leos Teller. „Buono!“ Ein „Risotto mit Salsicce“ (12,90), dem kräftigen Würstchen, kommt derart ungebremst abgeschmeckt daher, daß sich unsere italienischen Mitesser nur verblüfft anschauen. Wenn Conny Beckmann, der sich hier unlängst selbst zum Chef de cuisine beförderte, seine geliebten Oldtimer-Rennen in Spa, am Nürburgring und sonstwo auch so „volle Pulle“ bestreitet, wie er hier das Risotto kocht, dann Gnade den anderen Rennfahrern. „Buono!“ Zum „best dish“des Abends kürt Leopoldo dann allerdings die „Kalbsleber mit Püree und Zwiebeln“ (18,50) - auf weniger puristischen Speisekarten auch „nach venezianischer Art“ genannt - und wer wollte ihm da widersprechen?
Fazit: Achtziger-Jahre-Pinten, die irgendwie überlebt haben, gibt es viele, gerade auch in Beckmann's Nachbarschaft in der Calenberger Neustadt, in der Altstadt und in Linden. Aber allzu oft prägen Agonie, Stillstand, bestenfalls Nostalgie das Bild. Nicht so hier. Beckmann's Weinhaus ist auf der Höhe der Zeit. Und da der Lena und dem Philip kürzlich der kleine Konrad, der Dritte, geboren wurde, kann diese Geschichte unendlich werden.
Aber wer im Weinhaus sitzt, kann den Leser nicht ohne ein Wortspiel entlassen: Um es mal mit Amy zu sagen: Back to Beck. Mann.
Dieser Text erschien ursprünglich in unserer Kolumne "Spitzenküche" in Hannover Geht Aus, ab 20. Mai 2010 am Kiosk
Massimo und Leo auf dem Heimweg. Ciao!
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