19.05.2011

Brot und Spiele

Ist Jochen Gaues der beste Bäcker Deutschlands? Die Frankfurter Allgemeine, die Zeitung für kluge Köpfe, sagt ja und empfiehlt sein Brot als einzigartig. Das Ordnungsamt Hannover hingegen meint, er sei ein kleiner Schmutzfink. Ja, was denn nun? Ein Mittagessen.

Brot und Spiele:
Noch bestimmt der Imperator, was gutes Brot ist
Zuletzt mußte der Paradiesvogel der bundesdeutschen Bäckergilde ein paar Federn lassen. Und auch zu unserem Lunch im Ristorante Roma fährt er in seinem roten Ferrari leicht gerupft vor, oder sollten wir sagen: gezupft. Das liegt aber diesmal nicht an den hannöverschen Aufsichtsbehörden, die ihn unlängst noch "auf dem Kieker hatten", sondern an seinem neuen Look: der blondierte Schopf endlich wieder etwas länger, ordentlich gestylt. Jede Strähne steht. Gut schaut er aus. Ein paar Pfunde hat er verloren. Und obendrein seine Kontaktlinsen. "Deshalb muß ich diese Brille tragen, damit sehe ich aus wie ein Wissenschaftler..." Er sieht nicht nur so aus, er spricht auch so: wenn er anfängt, über das Bäckerhandwerk zu dozieren, hat man schnell Mühe, mit zu kommen. Liegt es an seinem stupenden Fachwissen? An seiner bedingungslosen Leidenschaft für die gute Backware („Deutschland ist in der Welt für drei Dinge bekannt: Nazis, Wurst, Brot“)? Oder am Tempo und Stakkato seiner Ausführungen und Anekdötchen? Dieser Mann ist – wie sein Brot - ein Naturereignis. Obwohl er hier im Roma schon noch ein bißchen erschöpft wirkt. Drum bringt Lino ihm erstmal ein Carpaccio vom Rinderfilet, pur und einfach, so wie er's mag. Guten Appetit, Herr Gaues, und nun erzählen Sie mal!

Carpaccio im Ristorante Roma
Eine turbulente Zeit hat er hinter sich, für ihn und seine Frau (und Chefin!) Betty ging es auf und ab. Letztes Jahr hat er auf Zureden seiner prominenten Gastro-Kunden wie Cornelia Poletto, Eugen Block, Rainer Sass oder Tim Mälzer („Hamburg will dein Brot!“) in der Hansestadt eine Filiale eröffnet. Und was für eine! Allerbeste Lage in HH-Eppendorf, schick, groß, sofort ein fulminanter Erfolg. Die wichtigste Essen&Trinken-Kolumne der Republik, Jürgen Dollases „Geschmachssachen“ in der samstäglichen F.A.Z., huldigt dem Bäcker-Genie: „Einer der gegenhält gegen die Geschmacksdefizite“. Einladungen zu Talkshows folgen, Reportagen in Wissens- und Wirtschaftssendungen. Dann eine mehrteilige TV-Doku-Soap im „Dritten“, die Gaues auf Schritt und Tritt folgt: zum Sommerfest des Bundespräsidenten, wo Christian Wulff ihn und seine Betty zur Privataudienz empfängt, auf Johann Lafers Stromburg, wo er 800 Ciabatta-Brötchen ausliefert, in seine 40 Jahre alte Backstube in Ledeburg... Just dorthin zieht es aber auch immer häufiger Lebensmittelkontrolleure der Stadt. Man beanstandet die hygienischen Verhältnisse. Es ist Gaues selbst, der den schwellenden Konflikt öffentlich macht, aber plötzlich die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Ein Sturm der Entrüstung rauscht durch den Blätterwald. Nicht nur in Hannover, in ganz Deutschland: Schimpf und Häme. Einen, der so hoch flog, sieht man gerne auch mal fallen. Und dann das Gerichtsurteil: wegen drei unappetitlicher Hygienemängel wird Betty Gaues, die Inhaberin der Bäckerei, zu einer Geldstrafe in Höhe von 14.000 Euro verurteilt. Eine Genugtuung immerhin bleibt den Gaues: das Gericht stellt nämlich gleichzeitig fest, daß die Kontrolle der Lebensmittel selbst keine Beanstandungen ergeben hat. Gaues' Brot ist nicht nur rein, sondern auch sauber!

Mit dem F430 ins Roma
Kunden hat er verloren durch die Affäre - am Ladentresen wie auch im Kreise seiner berühmten und besternten Großkunden. Dabei lieben die Spitzenköche doch Jochen Gaues’ mächtige Brote mit der dunklen Kruste so, aber einige fürchten nun ihrerseits um einen Imageverlust. Doch das bleiben Ausnahmen, denn gute Freunde kann niemand trennen. Christian Lohse, Zwei-Sterne-Chef im Fischers Fritz, setzt zwei Gäste, die sich beschwert haben, Gaues' Brot serviert zu bekommen, kurzerhand an die kühle Berliner Abendluft. Die kesse Poletto sagt: „Es ist doch bekannt, daß Jochen eine Sau ist, aber es gibt keine Alternative.“ Und Kochshow-Nervensäge Sass verspricht seinen Zuschauern: „Wenn Sie morgen ein Frühstücksbrötchen essen und es ist nicht von Jochen Gaues, dann ist es kein Brötchen.“

Filiale in der Vorstadt: voll durchgestylt
Nach einem weiteren Filet, diesmal gebraten und in Gorgonzola-Soße, ist der Bäckermeister gestärkt und bläst zum Aufbruch. Die Geduld, die man in seinem Handwerk eigentlich braucht, ist ihm im Straßenverkehr leider nicht zu eigen. Eine Mangelerscheinung, die besonders in Verbindung mit einem 500 PS starken V8-Motor und hohem Verkehrsaufkommen am Aegi und auf der Hildesheimer Straße eine nachgerade explosive Mischung darstellt. Schließlich erreichen wir wohl behalten aber etwas zittrig das malerische Kirchrode. Die begüterten Vorstädter beglückt Gaues seit April mit einer wunderschönen Bäckerei; es ist hier eine von acht, die man im Ortskern zu Fuß innerhalb von 5 Minuten erreichen kann. Mutig und selbstbewußt ist er also geblieben. Es geht voran. Die nächste Filiale eröffnet er am Kröpcke.

So kommt das "Ferrari" in "Ferrari-Bäcker"
Jochen Gaues hat sein ganz pragmatische Lehre aus der Affäre gezogen. Die alte Backstube wird dicht gemacht, eine neue, nach seinen Vorgaben gezeichnete, entsteht gerade auf dem Tönniesberg. Wo genau, wollen wir wissen. „Neben'm Puff.“

Dieser Artikel erschien zuerst in leicht verkürzter Version im Gastroführer "Hannover Geht Aus" - ab Mai 2011 am Kiosk.

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