21.12.2010

L‘Art de vivre à la libanaise

Walid Zein
Zu den wenigen Dingen, die von der EXPO 2000 im Gedächnis geblieben sind, gehört das geflügelte Wort der arabischen „Straßenhändler“: „Falafel, Falafel, einmal gegessen, nie mehr vergessen!“ 10 Jahre später sind die frittierten Kichererbsenbällchen oder Schawarma Standard in Hannovers Imbißstuben im Kiez. Das libanesische Restaurant Granatapfel hat damit nicht zu tun, stellt Patron Walid Zein mit dem charmanten Lächeln eines Orientalen fest. „Emigrantenküche wird mit Emigrantenkenntnissen gemacht und mit Emigrantenmitteln.“ Was wollen uns diese sphinxhaften Worte sagen? „Ich war nicht bei VW und wollte dann irgendwann Gastronomie machen. Ich bin Gastronom.“


Geboren in Beirut, ausgebildet in Architektur und französischer Kochkunst in Marseille („mein Bruder hat ein Restaurant unten am Vieux Port“), der Liebe wegen gestrandet in Hannover, entschloß er sich spät dazu, ein eigenes Lokal zu eröffnen. Und wandt sich erst dann zurück zu den kulinarischen Wurzeln seiner Heimat. Authentisch, kreativ, mit allerbesten Zutaten: „L‘Art de vivre à la libanaise.“ Das war 2005. Jetzt hat Walid das romantische Hideaway renoviert und noch ein bißchen hübscher gemacht. Die Weinkarte ist rein libanesisch (!), die Mezze („ein Vorspeisen-Mekka“) kommen in verführerischen Menüfolgen, und zum Christfeste gibt es sogar Gans. Aber natürlich mit Migrationshintergrund: „à la libanaise.“


Restaurant Granatapfel, Oeltzenstr. 12, Hannover, 0511-2285556

Dieser Beitrag erschien in verkürzter Version zuerst in unserer Kolumne "Was gibt's Neues, Chef" im Magazin Hannover Geht aus - erhältlich am Kiosk.

15.12.2010

Ich will machen, was ich will

Bildende Künstler: Dieter „Titus“ Grubert mit Skulpturen von Ivonne Klauss.
Der renommierte französische Feinschmecker-Führer Guide Gault Millau sagt:
Dieter Grubert ist Hannovers bester Koch. Er würde nicht widersprechen.

Die hervorragenden Köche - großartige, ungezähmte Tiere. So unangefochten, daß sie in ihrer freien Wildbahn überhaupt nur einen natürlichen Feind kennen: den Tellerrand. Der macht den Meistern mitunter Angst - genauer gesagt: über den Tellerrand hinweg zu schauen, fällt manchen sehr schwer. Dieter Grubert gehört zu den wagemutigen Exemplaren seiner Spezie. Er traut sich was. Ist experiementierfreudig. Bildet sich fort. Gerade war der Chef auf Dienstreise. Am Stück: Franken, zum Mittelrhein, an den Orta-See („da gibt es ein geiles, supergeniales Zwei-Sterne-Restaurant“), nach Burgund, natürlich Paris („L'‘Atelier de Joel Robuchon“).  Und immer fragt er sich der Reisende: „Wo stehe ich?“ Und: „das könnte ich doch auch mal machen...“

So nimmt es kaum Wunder, daß der große Trend der Spitzengastronomie der letzten 10 Jahre, die Molekularküche, in Hannover konsequent und seriös einzig im Titus umgesetzt wurde. Doch jetzt schließt die Brutstätte dieser bahnbrechenden Erfindung, das Restaurant El Bulli, seine Pforten. Weniger ambitionierte Köche fühlen sich plötzlich bestätigt, für sie war die Zauberei aus dem kleinen Chemiebaukasten eh „Quatsch“. „Es ist kein Quatsch!“, erregt sich Dieter Grubert, „jedenfalls nicht, wenn man sich reingekniet hat wie ich!“ Um was geht es eigentlich? Der erst kürzlich in der Zeitschrift Chemical Reviews erschiene Artikel „Molecular Gastronomy: A New Emerging Scientific Discipline“ bringt den großen Aufreger aus der Espuma-Sprühflasche auf einen ruhigen Punkt: „Die Molekularküche setzt Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Untersuchung physikalischer und chemischer Prozesse bei der Zubereitung von Speisen und Getränken um, die mit der Änderung von Texturen einzelner Produkte zu tun haben.“ Für Dieter Grubert hieß das schon vor acht Jahren: Intensives Studium und nicht unerhebliche Investitionen in Küchengeräte, um dann diese aufregende Kochtechnik in sein Menü einfliessen zu lassen. Der Wasabi zum Atlantik-Kabeljau kommt als Ravioli - außen fest und innen flüßig. Das Olivenöl zu Zweierlei von der Gänsestopfleber ist ein Crumble - schmilzt im Mund und nicht in der Hand, sozusagen...

Confierter Kabeljau, der bei 60° in der Folie gegart wurde,
mit Gartenkräutern, glasierter Rote Bete, Steckrübennudeln
und einem Sud aus Steckrüben und Safran

Gruberts Kochkunst ist dem Gault Millau 2011 17 Punkte wert. Das ist unerreicht in der Region Hannover und entspricht einem fetten Stern im Guide Michelin. Träumt man davon, den auch noch zu bekommen? „Natürlich, denn überall, wo ich bisher gekocht habe, hatten wir den Stern!“ Das war im legendären Wittenshop, in Schu‘s Restaurant und in Stern‘s. Aus dem Stern'schen Imperium übernahm er 1994 dieses kleine Restaurant und gab ihm seinen eigenen Spitznamen: „Titus“. Heute sitzt man hier in einem der geschmackvollsten Ambiente der Stadt, mit pointierten Ausstellungen, die Frank Hoff vom Kunsthaus Hannover beisteuert. Im Service Tobias Fricke, in der Küche der Chef ganz alleine. „Was soll ich mit einem Hivi? Da kann ich nicht spontan sein, ich will machen, was ich will. Und der Erfolg gibt mir Recht!“ Die 12 Plätze in dem Schmuckkästchen sind regelmäßig ausgebucht. „Alles normale Leute, keine Promis, kein Schicki-Micki, ein treues Publikum, Feinschmecker halt.“

Eins wollen wir zum Abschied dann aber doch noch wissen: warum wurde die Molekularküche hierzulande so selten, der letzte große Trend, die „Nouvelle Cuisine“ in den 80ern, jedoch von jedem Dorfrestaurant kopiert? "„Ganz einfach: statt einer Portion garer Karotten servierte man eine halbe Portion ungare“, löst Grubert das Rätsel, „fertig war die Nouvelle Cuisine.“" Macht Sinn...

Gänsestopfleber als Terrine und Cornetto
mit gegrillter Papaya, Olivenöl-Crumble, Bitterschokoladensauce
und eingelegten Preiselbeeren

Restaurant Titus, Wiehbergstraße 98, Hannover, 0511 835524

Dieser Beitrag erschien in verkürzter Version zuerst in unserer Kolumne "Was gibt's Neues, Chef" im Magazin Hannover Geht aus - erhältlich am Kiosk.

12.12.2010

Der Gänserich


“Drei Gänse im Flug. Eine nach Ost, eine nach West, eine flog über das Kuckucksnest.” Das mag in der Welt der Kinderreime so sein, aber hierzulande bestimmt immer noch Chef Ekkehard Reimann, wo die Gänse landen. Seit Jahrzehnten ist seine „Kross gebratene Hafermastgans aus dem Rohr“ - auf Bestellung zum Mit-nach-Hause-nehmen - der Hit auf vielen Festtagstafeln. Nämlich immer dann, wenn Mutti sagt, heute bleibt die Küche kalt. Oft kopiert, aber zumindest in seiner Quantität unerreicht. „Einige Tausend waren es schon.“

Vielleicht liegt es an Reimanns therapeutischem Ansatz: „Wieviele Ehen Dank meiner Gans nicht in die Brüche gegangen, wieviele Familiendramen ungeschehen geblieben sind - ich möchte es lieber gar nicht wissen...“ Reimann selbst gerät nicht in Gefahr, unterm Christbaum verrückt zu werden. Er ist Single. Und erlaubt sich deshalb, noch am Heilgenabend seine Gänse in dankbare Hände fliegen zu lassen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Kolumne "Was gibt's Neues, Chef" im Magazin Hannover Geht aus - erhältlich am Kiosk.

10.12.2010

Linden is(s)t besser

Jonte Schmatzler vorm Anna Limma

Spätestens seit CSI wissen wir: wenn Jungens Kleintiere halten, wachsen sie oft zu potentiellen Serienkiller heran. Denn sie wollen die unschuldigen Kreaturen doch bloß aufschlitzen und sezieren. Jonte Schmatzler fällt nicht in dieses Raster und das, obwohl er als Bub bereits ein kleiner Hühnerbaron und Kaninchenzüchter war. Jedoch wollte Jonte nie nur spielen, er wollte Gutes tun: schlachten, um zu kochen. „Einmal im Jahr gab es zuhause diesen Moorschnucken-Markt...“, erinnert sich der Wonderboy. Die Menschen in Fuhrberg rissen sich um das betörende Fleisch der raren Rasse, nur die Leber, die wollte keiner haben. Klein-Jonte besorgte kurzerhand Äpfel und Zwiebeln aus Nachbars Gärten und bereitete die Innerei zu. „Moorschnuckenleber à la Jonte“ wurde zum Kult - und ward stets ratz-fatz aufgegessen. Auch heute, 20 Jahre später, steht er auf dem Dorffest am Herd - als prominenter Gastkoch, der sich seine Meriten mittlerweile in der Ferne verdient hat und mit seiner „Küchenwerkstatt“ in Hannover immer umtriebiger wird.

Hauptquartier der alerten Boygroup bleibt jedoch das Anna Limma. Und hier hat Jonte gerade eine neue Speisekarte vorgelegt: „Dreierlei von der Feldwachtel“ (ausschließlich mit Mais hochgepäppelt), „Cremesuppe vom Steinbeißer“ (im Glas!) oder „Triologie vom Bodensee“ (nämlich Hecht, Zander und Saibling) sind nicht gerade die typische Limmerstraßen-Diät. Aber: „Linden wird immer besser!“, stellt Schmatzler fest und zieht Vergleiche zum Hamburger Schanzenviertel. „Da wollen doch jetzt auch alle wohnen.“ Wenigstens wollen da jetzt alle essen.

Auf dem Gourmetfest HIP im Juli 2010:
Jonte im Gespräch mit einer reizenden Redactrice der H.A.Z.

Anna Limma, Leinaustr.1, Hannover/Linden, 0511-70038660


Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Kolumne "Was gibt's Neues, Chef" im Magazin Hannover Geht aus - erhältlich am Kiosk.

05.12.2010

Zu Gast.. bei Wichmann

Hochzeiten und Todesfälle, Taufen und Konfirmationen, intime Soupers und große Feinschmeckereien. Wer in Hannover aufgewachsen ist - mit einem gewissen Hang zu bürgerlichen Traditionen und großbürgerlicher Gourmandise, dem ist das landhausartige Refugium der 150-Jahre-alten Gastwirtschaft Fritz Wichmann von Kindesbeinen an ein zweites Wohnzimmer. Alle anderen Hannoveraner kennen es nur von außen. Dafür kehren auch auswärtige Kanzler, Könige und Kaiser häufiger mal ein.


Den Anruf nahm Ariane Weick, die Tochter des Hauses, an - und erstarrte sogleich. Stumm reichte sie den Hörer weiter an ihren Vater. Am anderen Ende der Leitung war ER persönlich, um sich im perfekten deutsch für einen schönen Abend in der Gastwirtschaft zu bedanken: Wladimir Wladimirowitsch Putin, (damals) Staatsoberhaupt Russlands. Das war selbst für Verhältnisse, wie sie hier vorherrschen, etwas Besonderes. Und deshalb hängt ein Erinnerungsfoto von Putins Besuch heute im Entrée. Andere blieben unfotografiert, unerwähnt. „Diskretion ist alles!“, verrät Gerd Weick, „und ich selbst muß auch nicht ständig Journalisten Rede und Antwort stehen.“ Uns jedoch empfängt er zum Interview im sogenannten Delfter Zimmer.

Ein lupenreiner Feinschmecker

Die Gastwirtschaft Wichmann verteilt sich auf ein schier unendliches Ensemble aus Kabinetten, Stuben und Sälen. „Unser“ Delfter Zimmer hatten seinerzeit auch Putin und sein Gastgeber Gerhard Schröder für ihre vertrauliche Zusammenkunft gewählt.

„Lassen Sie uns bitte nicht vom Kochen sprechen!“, beginnt der Hausherr, der zwischen 1974 und 1982 hier Küchenchef im Dienste der Familie Fritz Wichmann war und 1976 den ersten Michelin-Stern in die Landeshauptstadt Hannover holte, der, dem das traditionsreichste Restaurant dieser Stadt seit 1988 selbst gehört. Worüber möchte er denn gerne plaudern? „Über Frauen. Meine Inspiration, meine Welt...“ Und schon werden Fotos vorgezeigt. Mit Langbein Ute Lemper, mit Champagnerlady Virginie Taittinger („meine beste Freundin“)...

Altes Fachwerk - der ideale Rahmen für schöne Frauen

Und weiter geht es zu den Witwen verdienter Stammgäste. Es ist nämlich so, daß jeden Mittag gegen eins Weicks BMW X5 vom Hof rollt und das wohl exklusivste Essen auf Rädern ausliefert, das dieses Land kennt. „De luxe. Auf Silbertablett.“ Nur für zwei ältere Damen in Waldhausen. Das ist Chefsache. Es müssen schon gute Gäste gewesen sein früher, denen Weick diesen ebenso rührenden wie soignierten Dienst erweist. „Ach, wissen Sie, früher...“, wird der Wirt sentimental und berichtet von Kaviar satt, von bis dato ungekannten Edelprodukten aus Frankreich, von Partys bei seinem Mentor Walter Böcker, in dessen Lokal am Maschsee die Schönen und Reichen dereinst so richtig Gas gaben. Heute heißt es Die Insel, und dort rühmt man sich auf einer kleinen Fotowand der Besuche von Angela Merkel und Robert Enke.


Weick selbst bevorzugt das Understatement. „Mein Rolls-Royce steht in der Küche“, springt er auf. Wir folgen ihm ins Allerheiligste. Und tatsächlich, da ist er: der Molteni-Herd, groß, schwer und bedrohlich wie ein Panzer. Kein anderes Utensil könnte in dieser Küche stehen. Hier wo man dem  Hummer in allerlei Varianten huldigt, wo aus Stopfleber Torten aufgeschichtet werden, wo man dem Wildbret eine eigene saisonale Speisekarte widmet, wo der Fisch tagesfrisch nur im Ganzen angeliefert wird - je nach „Marktlage“. Aber was ist mit BusinnesmenüsDownsizing?  „Haben wir alles probiert,“ winkt der Chef ab, „darauf legen unsere Gäste keinen Wert.“

Sohn Arndt, Gerd Weick und ganzer Kabeljau mit Kopf

„Außerdem: wir wollen nicht vom Kochen reden!“. Stattdessen schwelgt Gerd Weick - passionierter Klarinettenspieler (!), wie wir erfahren - nun von Musik. Alles von Klassik bis zu den Rolling Stones. Ach ja, werfen wir ein, und uns rauscht der Kopf, waren die auch schon hier? „Die Stones?“, beugt Weick sich nach vorne und fängt an zu flüstern, „da mußten wir die Fensterläden zuziehen! Sie kamen kurz nach Mitternacht und die Session ging bis vier Uhr morgens. Mick hat sich am nächsten Tag persönlich für den schönen Abend bedankt.“ Wir sacken zusammen. In dem Stuhl, in dem schon Putin saß.

Da kann man lachen: der kleine Lustgarten im Innenhof zählt zu den zauberhaftesten Plätzen in der Landeshauptstadt
Gatwirtschaft Fritz Wichmann, Hildesheimer Str. 230, Hannover, 0511-831671